Es gibt wenige Ereignisse im Weltgeschehen, über die man noch lange nach dem Ereignis genau weiß, wo man sich aufhielt, als man erstmalig davon hörte. Der Fall der Mauer kann dazu gehören, das Zugunglück in Eschede oder eine Nachricht über den Unfalltod eines Freundes.
Ein Ereignis, das bei mir eine solche Reaktion erzeugt, jährt sich am 11.09.2021 zum zwanzigsten Mal.
Der terroristische Angriff auf die USA und dabei vor allem der Angriff auf die Zwillingstürme des World Trade Centers. Ich war gerade nach einem Klientenbesuch zu meinem Auto gekommen und machte das Radio an. Dort wurde erstmalig über den ersten brennenden Turm berichtet.
Zufälligerweise war ich in der Nähe meines Elternhauses und entschloss mich, dort vorbeizufahren und den Fernseher einzuschalten – vielleicht ein Stück aus Informationsinteresse, auf jeden Fall aber auch aus dem Gefühl heraus, jetzt nicht alleine bleiben zu wollen.
Meine Eltern waren jedoch nicht zu Hause. Ich machte trotzdem den Fernseher an, in dem ein sichtlich überforderter Tagesschausprecher den Brand kommentierte, während genau zum selben Zeitpunkt das zweite Flugzeug live im Hintergrund in den zweiten Turm raste. Das war so unwirklich, dass es Minuten dauerte, bis das Redaktionsteam überhaupt realisierte, was gerade passiert war.
Auch bei mir löste sich der Schock erst sehr langsam – gleichzeitig kam mir mein Verlangen nach Gemeinschaft wieder in den Sinn.
Ich fuhr nach Hause, um meine Frau und meinen Sohn in den Arm zu nehmen und den Halt zu suchen, der gerade erschüttert worden war. Später gingen wir in unsere Kirche, zündeten eine Kerze an und beteten für die Opfer.
Begegnungen mit Menschen, die einen persönlichen Schicksalsschlag erlitten haben, Hilfe benötigen oder eigene Betroffenheit teilen wollen – das begegnet uns häufig im Einsatz für Kirche und Caritas.
Da ist erst einmal Zuhören wichtig, Da sein, Zeit und Betroffenheit teilen. Das ist der erst Schritt jeder Krankenschwester, jeder Gemeindereferentin oder jedes Notfallseelsorgers.
Wir Christen haben die Gewissheit, mit Gott einen Ansprechpartner zu haben, der immer da ist. Der für die Menschen da ist, gerade in den Situationen des Leidens oder der Verzweiflung.
Wenn man sich auf ihn einlässt, kann man getragen werden und Hoffnung finden.
Und manchmal hat Gott dann das Gesicht eines Freundes, der dich in den Arm nimmt oder die Hand eines Sozialarbeiters, der sie dir reicht. Manchmal das Ohr des Pfarrers oder des Notfallseelsorgers.
So verstanden ist der Dienst am Menschen einerseits der Ausdruck christlichen Lebens und andererseits des göttlichen Wirkens in unserer Welt.
Ulrich Paus
Vorstand Caritasverband Bielefeld e.V.
Wort zum Sonntag, Westfalen Blatt, 11. September 2021
Bild: Peter Weidemann
In: Pfarrbriefservice.de
Ulrich Paus
Vorstand Caritasverband Bielefeld e.V.