Außergewöhnlich gewohnt!
Oh wie war es doch ungewohnt, als die Friseure wieder nach der Corona-Pause öffneten, als die ersten Restaurants wieder zum Verweilen und zum Speisen einluden, als die ersten Gottesdienste in Mai wieder öffentlich gefeiert wurden.
Mund- und Nasenbedeckung aufsetzen und absetzen, Abstand halten und sich nicht zu nahe kommen, Registrieren und Name mit Anschrift hinterlassen. Ja, es war ungewohnt, sich Plätze zeigen und anweisen zu lassen, auf den Gruß mit Handschlag zu verzichten und Vorsicht walten zu lassen.
Aber, was soll ich sagen, ich habe mich daran gewöhnt. Es ist also gar nicht mehr so ungewöhnlich. Im Ungewöhnlichen ist schon ein wenig Normalität eingekehrt. Der Mensch ist halt ein Gewohnheitstier. Über das, was gewohnt ist, denke ich nicht mehr groß nach. Solche Handlungen sind in Fleisch und Blut übergegangen. Das Ungewohnte regt mehr zum Nachdenken an, weil ich jeden einzelnen Schritt überlegt tun muss.
Letztlich gibt es Vieles im Leben, dass ich gewohnt bin zu tun, das so selbstverständlich ist, ohne dass ich darüber nachdenken muss. Das gilt auch für meinen Glauben an Gott. Dabei wäre es durchaus interessant, auch über das Gewohnte nachzudenken oder Selbstverständliches neu zu hören.
Gewöhnliches Brot steht im Mittelpunkt des Fronleichnamsfestes, das in der Katholischen Kirche gefeiert wird. Gewöhnliches Brot hat Jesus Christus genommen, um damit ein ungewöhnliches Zeichen zu seinem Gedächtnis zu setzen. Im Teilen miteinander wird aus dem Gewohnten etwas, das neu werden lässt. Jesus Christus wird so ein Teil jedes Einzelnen. In seinem Geist geschieht Erneuerung, und Gewöhnliches wird zu Ungewöhnlichem.
Vielleicht gelingt es gerade in dieser besonderen Zeit, in der vieles Gewohnte nicht mehr selbstverständlich ist, den Wert des Gewohnten neu zu entdecken und zu schätzen. Jesus Christus hat dazu ein Zeichen gesetzt.
Norbert Nacke
Dechant, Pfarrer und Leiter des Pastoralverbundes Bielefeld-Mitte-Nord-West
Wort zum Sonntag, Westfalen Blatt, 11. Juni 2020
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